Führen und Geführtwerden - Ramona

Ich habe Neira geführt. Zuerst sind wir zwischen den Barren durchmarschiert. Neira berührte sanft die Metallstange. Mit unsicheren Schritten spazierten wir zum ersten Stamm. Dann nach rechts und ein wenig geradeaus. Neira berührte sanft und unsicher den zweiten Stamm. Wir spazierten vorwärts Richtung dritten Stamm. Fast wäre Neira hinein gelaufen, doch ich konnte sie noch halten. Ich führte sie nach links und geradeaus; bald erreichten wir den vierten Stamm. Die Stimmung war nicht schlecht, bis E. hinter uns sehr her hetzte. Die Hetzerei störte mich grausam. Ich sagte zu Neira: „Geh geradeaus.“ Neira trippelte vorsichtig Richtung Reckstange. Mit sanften Berührungen fasste Neira die Reckstange an. „Halt“! „Jetzt bücke dich!“, befahl ich Neira. Sie bückte sich und wir spazierten in Richtung der beiden Balancestangen. „Stopp.“, sagte ich. Neira hielt inne. Ich sagte ihr: „Hebe deinen rechten Fuss.“ In dieser Zeit hielt ich sie noch fester. Mit ängstlichen Bewegungen bewegte sich Neira über die erste Balancestange. Fast wäre sie herunter gefallen, doch ich konnte sie noch zurückhalten. „Hebe das linke Bein und bewege es ein wenig nach links“, befahl ich ihr. Neira hob zuerst das rechte Bein statt das linke. Doch wir erreichten das Ende der lezten Balancestange. Ich meldete ihr: „Geh geradeaus.“ Neira machte dies. „ Achtung, die Treppe!“, warnte ich. Sie bremste schnell und ertastete mit dem rechten Fuss die Stufen. Neira stieg vorsichtig (fast ohne meine Hilfe) die Treppe hinauf. Sie nahm glücklich die Dunkelbrille ab. Wir beiden liefen gut gelaunt zurück zum Start.

 

Ich zog die Dunkelbrille an. „Hilfe!“, schrie mein Gefühl, „ich sehe nichts.“ Mich überkam ein Gefühl zwischen Ängstlichkeit und Nutzlosigkeit. Neira führte mich langsam durch den Parcours. Am Anfang fühlte ich Angst, doch andere Sinne erwachten. Plötzlich hörte ich besser und meine Konzentration stieg. Ich vertraute Neira 100%. Trotz Vertrauen war ich sehr vorsichtig. Ich hatte öfters das Gefühl, dass ich in irgendetwas hinein marschierte. Zum Glück stolperte ich nie. Ganz am Schluss beeilte sich Neira zu sehr, dass ich fast nicht mehr nachkam. Neira hatte das doch gut gemacht.

 

Blinde können nichts sehen, ABER dafür sind ihre anderen Sinne schärfer (spüren, hören…). Das ist mir aufgefallen, als ich für 10 Minuten „blind“ war. Ich bin froh und dankbar, dass ich gut sehen kann.

 

Ramona