Interview mit Dr. David Bittner

 

David Bittner, sind Sie ein mutiger Mensch?

Ja, der Mut bestand vor allem darin, als völlig unerfahrener Mensch diesen ersten Schritt zu tun und sich aus dem zivilisierten Leben und all dem Luxus und den Sicherheiten zu lösen und raus in die Wildnis zu gehen. Ich bin jedoch kein Extrembergsteiger und das, was ich gemacht habe, können viele andere Menschen auch tun. Es braucht einfach Mut, diesen ersten Schritt zu wagen und auf die Sicherheiten, welche wir hier haben im Job, Alltag, in der Freizeit  auch mal zu verzichten. Aus dieser anfänglichen "Mutprobe" ist im Laufe der Jahre natürlich inzwischen Erfahrung geworden und obwohl meine Bärenbegegnungen zum Teil sehr mutig aussehen, hat mein Leben in der Wildnis für mich jedenfalls mittlerweile nicht mehr viel  mit Mut zu tun. Das ist sicher Ansichtssache :-). Ich unternehme ja auch immer neue Dinge, z.B. mal spät im Herbst dort draussen zu sein, in eine unbekannte Bucht zu paddeln oder auf einen neuen Berg zu steigen; doch das hat vielleicht mehr mit Neugierde zu tun als mit Mut.

 

Fühlt man sich unter Bärenforschern eher als Konkurrent oder Mitstreiter?

Konkurrenten sind wir sicher nicht. Aber absprechen tun wir uns leider auch nicht, obwohl ich das versucht hatte. Ich habe den Vorteil, Biologe zu sein mit Doktortitel. Die Leute können verschiedene Bärenmänner kennenlernen und entscheiden, wen, welches Bildmaterial oder welche Geschichten sie besser mögen. Es kann nicht genug Leute geben, welche sich für diese tollen Tiere einsetzen…

 

Googlet man im WWW, finden sich diverse Reiseveranstalter, die Bärentourismus betreiben auf Kodiak.  Ist das befürwortenswert?

Bear- Viewing auf Kodiak finde ich nicht ganz in Ordnung, weil im selben Gebiet jeweils im Frühling und Herbst auch eine kommerzielle Jagd stattfindet. Natürlich ist das alles streng reglementiert, aber trotzdem sollten dort diejenigen Gebiete, wo der Tourismus stattfindet, konsequent für die Jagd gesperrt werden. Diese Überzeugung ist übrigens auch ein Grund, wieso ich eigentlich meistens im Katmai Nationalpark unterwegs bin und nicht mehr auf Kodiak. Im Nationalpark werden die Bären konsequent geschützt.

 

Was gibt Ihnen Befriedigung bei der Bärenbeobachtung, wo man doch ziemlich auf sich alleine gestellt ist in der rauen, praktisch unberührten Natur?

Für mich ist es immer noch fast unfassbar, dass solch ein Vertrauensverhältnis zu einigen wilden Bären in freier Natur überhaupt möglich ist. Die spektakuläre Landschaft und die Möglichkeit, sich von der Natur ernähren zu können, sind weitere Highlights. Es ist wirklich sozusagen mein kleines Paradies, das ich da für mich gefunden habe.

 

Weshalb präsentieren Sie eigentlich Ihre Bilder in Multimediashows? Welche Absichten verfolgen Sie damit? Andersrum gefragt: Warum sollte ich mir die Bärenshow ansehen?

Diese persönlichen Geschichten einem breiten Publikum vorzustellen und sich dadurch zu ‚vermarkten‘, war keine einfache Entscheidung. Man motiviert ja die Leute, in diese Vorstellung zu gehen. Wenn es viele weitere Bärenfreaks wie mich geben würde, wäre das natürlich schlecht für die Natur und auch die Bären…

Aber ich bin ein offener Mensch und für Neues stets zu haben. Nach anfänglichen Unsicherheiten habe ich vor allem durch die vielen positiven Echos und Feedbacks der Leute deren Meinung übernommen, dass diese Vorträge auch eine Chance wären, an viele Menschen heranzukommen, sie für die Natur und das faszinierende Tier ‚Bär‘ zu begeistern. Dadurch konnte ich offenbar viel Positives erreichen, vor allem bei Kindern. Ich kann in die Vorträge ganz bewusst bestimmte Messages einbauen und dadurch als eine Art Botschafter für die unberührte Natur im allgemeinen und natürlich für die Bären im Speziellen agieren. Einige Leute ändern aufgrund meines Vortrags ihre Einstellung gegenüber den Bären oder der Bewahrung und einem bewussten Umgang mit unserer Natur. Das freut mich jeweils sehr und motiviert weiterzumachen.

Ich sehe meine Arbeit (Forschung, Bücher, Filme, Vorträge) als Mithilfe, um einzigartige Lebewesen zu bewahren, zu schützen und mit ihnen auch die unberührte Natur,  mittendrin der Bär als Symbol für eine intakte Natur und Wildnis, welche vom Menschen noch nicht zerstört wurde….

 

Warum besuchen Sie immer dieselbe Region - und nicht weltweit unterschiedliche Bärengebiete, wie das andere Bärenfreaks tun?

Alles hat auf Kodiak angefangen, mittlerweile bin jedoch - wie oben erwähnt - fast nur noch an der Katmai-Küste unterwegs. Obwohl ich natürlich an ein paar mir sehr gut bekannte Plätze zurückkehre, um dort die mir bekannten Bären wiederzusehen, zieht es mich aber auch immer wieder an neue Plätze in der Umgebung. Es braucht beides, denke ich. Dennoch bleibe ich dem Gebiet treu, das ist wahr. Kanada oder Kamtchatka oder Finnland für Bärenbeobachtungen ist momentan auf jedenfall kein Thema für mich. Man muss sich auch mal zufrieden geben mit etwas und nicht immer mehr und Neues suchen (- weil man das andere ja bereits kennt). Auf diese Weise werden natürlich die Erfahrungen tiefer und viel intensiver, eben z.B. das Vertrauen zu einigen Bären über Jahre hinweg; das ist auch eine Art Verhaltensforschung.

 

Was gibt Ihnen ein Bär, das Ihnen andere Lebewesen nicht geben können?

Ich denke es wichtig zu erwähnen, dass ich ja durch Zufall auf den Bären gekommen bin; das macht das Ganze so intensiv. Es hätte ebenso mit Orcas oder Elefanten geschehen können. Bären sind extrem ‚menschlich‘ und sie in dieser unvergleichlich wilden Landschaft zu beobachten, ist einfach super. Mittlerweile sind es natürlich diese paar Bären mit Namen, welche mich wie meine eigenen ‚Haustiere‘ faszinieren und welche ich gerne habe  und mir sehr viel bedeuten. Es gibt emotionale Momente mit ihnen. Grundsätzlich ist das eine sehr schwierige Frage. Ich denke, dass die Leute nach meinem Vortrag verstehen, wieso ich gerade zum Bären und keinem anderen Tier eine Beziehung aufgebaut habe. Jedenfalls hoffe ich das …

 

Sie sagen, Sie würden Bären aus Respekt nie berühren; kommen Sie in speziellen Situationen nicht in Versuchung?

Ich schaue diese Grenze als symbolisch an. Sie ist nicht eine Frage der Machbarkeit. Aber ich bin überzeugt, dass mir diese Einstellung und dieses Prinzip hilft, nicht die Hand nach einem mir so gut bekannten Bären auszustrecken und so den Respekt und die Angst vor mir unbekannten Tiere zu bewahren. Bären sind nicht unsere Freunde und die Wildnis Alaskas ist kein Streichelzoo. Wenn ich denken würde, dass das alles meine Freunde wären und nie etwas passieren könnte, dann denke ich, ist es eine Frage der Zeit, bis eben genau etwas Schlimmes passieren würde. Es ist nicht einfach, den Respekt zu bewahren, doch ich versuche es jedenfalls so gut es geht und dazu gehört auch das Nicht-Ausstrecken der Hand nach einem Bären, sei die Situation und die Gelegenheit noch so günstig und gefühlsbeladen…

 

Wie geht Ihre Familie mit dem speziellen Hobby um?

Zum Glück kennt meine Frau die Bären sehr gut von drei Reisen her, welche sie mit mir dort viele Monate lang gemacht hat. Das ist auch ein Grund, weshalb wir zusammen sind. Es wäre für mich kaum vorstellbar, jemanden an meiner Seite zu haben, welcher nicht zumindest teilweise diese Leidenschaft mit mir teilen könnte. Seitdem ich letztes Jahr Vater geworden bin, habe ich natürlich schon noch ein anderes Verantwortungsgefühl dazugewonnen, was mich aber sicher nicht daran hindert, nie mehr nach Alaska zu gehen :-).  Ich selbst denke, dass ich die Gefahr sehr gut einschätzen und ich mich auch entsprechend vorsichtig und respektvoll gegenüber den Bären verhalten kann.

 

Welche seiner Erkenntnisse und Erfahrungen möchte der Biologe, Bärenmann und  Naturmensch Bittner der heutigen Jugend mit auf den Lebensweg geben?

Nebst anderen Dingen, welche bereits weiter oben erwähnt wurden, denke ich, dass man es vielleicht folgendermassen auf den Punkt bringen kann: Es lohnt sich, den Mut aufzubringen, um einen scheinbar kleinen Schritt vorwärts zu gehen, welcher aber grosse Folgen haben kann im Leben. Einen Traum, eine Idee nicht nur zu träumen und davon zu sprechen, sondern in Wirklichkeit anzugehen und eben diesen ersten wichtigsten Schritt zu tun in diese neue Richtung, welche man nicht kennt, kann enorme Chancen bieten, das Leben komplett verändern. Diese Chancen ergeben sich automatisch im Leben, wenn man nur mit offenen Augen, Ohren und einer gewissen Neugier durch die grosse Welt stapft -  dann heisst es sie packen.

 

David Bittner, herzlichen Dank für das Interview und weiterhin alles Gute -  mit und ohne Bären!

 

Christine Fischer, Januar 2012

Links und Hints

Website von Dr. D. Bittner

David Bittner war am 3.7.11 im Schweizer Radio zu Gast in der Sendung "Musik für einen Gast".

Die Sendung zum Nachhören (sowie weitere Sendungen). Weitere mediale Auftritte sind auf seiner Website verlinkt.