Yves Kilchör über Anstand und Respekt – das Reisen und die Fussball-WM in Südafrika

Was bedeutet für dich Anstand?

 

Sich an die Sitten zu halten und, bezogen auf meine Sehbehinderung, mein "Nein" zu akzeptieren, wenn ich keine Hilfe brauche. Sicher gelten auch diejenigen Personen als anständig, welche andere Personen nicht belästigen bzw. deren Freiheit einschränken.


Respekt, ist das für dich ein Begriff, der im Alltag entscheidendes Gewicht hat – und grundsätzlich mehr als bei sehenden Menschen?

Respekt ist für mich etwas Wichtiges und Grundlegendes. Das Sehvermögen spielt dabei keine Rolle. Ich wünsche mir, dass man mir den Respekt zugesteht, den jeder Mensch verdient hat, nicht mehr und auch nicht weniger. Ich will nicht benachteiligt werden, aber auch nicht als „Hero“ behandelt werden - einfach ganz normal.

 

Nehmen dich Journalisten-Radio-Berufskollegen überhaupt wahr, akzeptieren sie dich?

Ja, insbesondere dann, wenn sie sehen, welche Arbeitsleistung ich, aber vor allem auch andere blinde und sehbehinderte Radio-Leute erbringen. Unsere Produkte sind auf jeden Fall mindestens gleichwertig, wenn man sie mit denjenigen der anderen RadiomacherInnen vergleicht.


Im Herbst beginnst du ein dreijähriges Vollzeit-Studium in Journalismus / Organisationskommunikation. Ist dieses Studium, resp. der entsprechende Beruf überhaupt möglich für dich als Sehbehinderten?

Auf jeden Fall. Es braucht halt gewisse Anpassungen. Aber wo und bei welchem Menschen braucht es diese schon nicht...?


Dein Freizeit-Steckenpferd Radiojournalismus zieht emsiges Reisen mit sich. Womit hast du grundsätzlich am meisten Probleme?

Ganz ehrlich zugestanden wäre es etwas umständlich, schwierig und zeitaufwändig, alleine zu reisen. Es wäre zwar möglich, aber eben nicht ganz effektiv.

Ich reise deshalb am liebsten zu zweit (oder zu dritt usw.). So macht Reisen auch mehr Spass, ist lustiger, unterhaltsamer und inspirierender. Ich bin davon überzeugt, dass so auch bessere Produkte zurückkommen. Man kann so ja auch laufend seine Produkte analysieren und überdenken.

Sicher spielt die Wahl der richtigen (?) Reisebegleitung sowohl bei Sehenden, wie auch bei Sehbehinderten eine wichtige Rolle. Bei meiner ersten Reise nach Südafrika reiste ich mit dem Projektverantwortlichen, bei der zweiten Reise mit einem Kollegen. Mit ihnen war das Reisen ein echter Genuss und Spass: Das was gemacht werden musste, geschah in einer absoluten Selbstständigkeit, ohne grosse Diskussionen und immer so, dass die eine Person (egal ob sehend oder sehbehindert) der anderen Person half. Ausserdem war es mit beiden extrem lustig, unterhaltsam und erlebnisreich.  

Nebenbei: Während ich früher Flugangst hatte, habe ich heute einfach noch sehr grossen Respekt davor. Aber es gefällt mir mittlerweile natürlich auch, über den Wolken zu schweben.  

Radiomässig ist für mich das Reisen alleine eher unvorstellbar. Mal schauen, ob ich dann privat mal alleine ins Ausland verreise. Unter Umständen sogar für eine längere Zeit. So ganz aus dem Kopf geschlagen habe ich mir das noch nicht. Ich spreche hier übrigens vor allem von Reisen ins Ausland. Im Inland sieht das natürlich anders aus. Da bin ich oft alleine unterwegs, was für mich meistens überhaupt kein Problem ist. 

 


Du warst nun eben zweimal in Südafrika – an der WM. Wie war das für dich?

Am Anfang der Fussball-WM habe ich für die Weltmeisterschaften und deren Zugänglichkeit für sehbehinderte Menschen gearbeitet. Von der WM habe ich zwei Spiele miterlebt. Rund herum habe ich gespürt, wie viel den Südafrikanern die WM bedeutet, welche Hoffnungen sie ihnen gibt und welchen Spirit sie in diesem Land auslöst. Ich durfte auch einige Südafrikaner - vor allem weisse Leute, aber auch schwarze - kennen lernen und bin von ihrer Gastfreundschaft, Offenheit und Lebensfreude sehr beeindruckt.  

 

 

Was hast du dort genau gemacht?

Der Schweizerische Zentralverein für das Blindenwesen (SZB) hat, zusammen mit der FIFA, 48 Spiele für sehbehinderte Fussballfans zugänglich gemacht, das heisst, die Spiele werden von Kommentatoren beschrieben. Die blinden/sehbehinderten ZuschauerInnen gehen also ins Stadion, erhalten einen Radio und hören über diesen Radiosender dann die Beschreibung des Spiels.
Meine Aufgabe war es, die Schulung der Kommentatoren (Radioleute von Südafrikanischen Community-Radios) mit meinem Know-How zu unterstützen.
 


Wie empfandest du die Vuvuzelas?

Sie gehören einfach dazu! Lieber Vuvuzelas als Petarden, Schlägereien und Handgefechte. Ich habe selber fast 10 Stück in die Schweiz importiert. Sorry für den Lärm!


 

Nebst Radiomachen hast du noch andere Hobbys: Welche Freizeitbeschäftigungen sind für sehbehinderte Menschen am schwierigsten auszuführen?

Ganz klar die Mannschaftssportarten, weil man da einfach nicht mit den anderen mithalten kann und den Ball u.ä. nicht sieht. Dann aber auch Dinge, wie Auto- und Motorradrennen (lacht). Sonst geht praktisch alles. Man braucht einfach die "richtigen" Leute dazu.


In die Freizeit finden auch gesellschaftliche Kontakte statt. Wie ist das mit Frauenfreundschaften? Hat man als Sehbehinderter überhaupt eine Chance, eine Freundin zu kriegen?

Was nicht geht, ist die Kontaktaufnahme über Blickkontakt. Aber vom persönlichen Gespräch bis zum Treff im Chat geht fast alles. Sobald dann eine Beziehung entstanden ist, verläuft diese - mit Hochs und Tiefs - wie wohl jede andere. Die Sehbehinderung und die Frage "wer führt hier wen?" sind jedoch wohl immer wieder ein Thema.

Übrigens: Ich habe mal gehört, dass ein sehbehinderter Mann mehr Chancen hätte, eine sehende Frau zu kriegen, als eine sehbehinderte Frau einen sehenden Mann.

Weitere Details kenne ich aber nicht. Vielleicht stimmt das ja heute gar nicht mehr.




Vielen Dank, Yves, für die Beantwortung der Fragen.


Juli 2010, chf